Feng Shui Krimi: Ein Sarg aus Nikotin (Kapitel 3)

Folge den aufregenden Erlebnissen einer Fengshui Beraterin

Sie stürzte aus der Tür und übergab sich würgend auf dem Bürgersteig. Anschließend atmete sie japsend langsam ein und aus bis sie wieder etwas Farbe im Gesicht hatte. Gierig sog sie noch eine Weile die frische Luft in ihre Lungen, beruhigte sich und richtete sich auf. Ihre neuen Sneakers hatten ein paar Spritzer des Erbrochenen abbekommen. „Egal, darum kümmere ich mich später. Nichts, wie weg.“ Sie ging zu ihrem VW Beetle, öffnete das Verdeck und fuhr mit quietschenden Reifen und wehenden Haaren um die nächste Ecke. Der Hausmeister, Herr Krause, ein betagter Herr im grauen Arbeitskittel, riss die Tür auf und sah dem davonfahrenden Cabrio verwirrt hinterher. Einen so abrupten Abgang bei einer Wohnungsbesichtigung hatte er in seinen 45 Jahren als Hausmeister noch nie erlebt. Die Hausverwaltung hatte sie zu ihm geschickt. Auf all ihre Fragen zu der Vormieterin war er geduldig eingegangen. Endlich mal jemand, der es etwas genauer wissen wollte.

Ja, er wusste, es gab ein riesiges Problem mit der Wohnung auf der Fünften, links hinten. Sie wurden die Wohnung einfach nicht los. Obwohl sie hell und ausgesprochen preiswert war, schreckte jeder bei der Besichtigung zurück und verabschiedete sich hastig. Ein türkisches junges Paar bekreuzigte sich sogar mehrfach. Sie nahm ihren Rosenkranz in die Hände und betete beim Rausgehen und zitterte. Wenn er, Herr Krause, ehrlich war, war er immer froh, wenn er wieder abschließen konnte. Gestorben waren natürlich in den fünfundvierzig Jahren des Öfteren Mieter. Die Angehörigen kamen, erledigten alles, Liegengebliebenes wurde entsorgt. Manchmal verdiente er sich Geld dazu, wenn er Überbleibsel bei eBay versteigerte. Doch es stimmte, diesmal lief es anders, heftiger und nichts für zarte Gemüter. Krause ging wieder ins Haus, seufzte und setzte sich in seinen Sessel am Fenster. Bevor er einnickte, spürte er noch einen kalten Windhauch, der ihn streifte.

Sie parkte ihren Beetle vor dem Fitnessstudio, rannte zu den Bädern. Nach zehn Minuten Dauerdusche zog sie ihre Sportsachen an, stieg auf das Laufband und legte los. Nach einer halben Stunde war sie schweißgebadet, duschte wieder und fuhr zu ihrem nächsten Kunden. Gott sei Dank eine freundliche Wohnung in einem hellen Haus am Stadtrand. Sie musste die Wasserader unter dem Bett abschirmen, alle technischen Geräte mit Elektrosmogschutzzeichen versehen und die Räume mit Chi anfüllen.

Dann, am Abend, als sie mit ein paar Freunden bei einer Pizza im Biergarten saß, klingelte ihr Handy. Die Dame von der Hausverwaltung aus Neukölln war am Apparat. „Was war denn mit Ihnen los. Hausmeister Krause hat uns berichtet, dass sie davongeeilt sind. Wir dachten, Sie würden den Auftrag übernehmen.“ Sie würgte den Bissen wieder aus, legte die Gabel beiseite und erwiderte stockend: „Das kann ich nicht. Das ist mir zu heftig. Nein, suchen Sie sich jemand anderes.“ Doch die Hausverwalterin blieb hartnäckig. „Uns wurde gesagt, Sie seien die Beste. Sie würden vor Nichts zurückschrecken. In der Tageszeitung wurde berichtet, Sie hätten den alten Schlachthof entstört, den über Jahre kein Investor kaufen wollte. Keiner wagte sich da ran. Nur Sie seien da mutig rein gegangen, sogar ganz allein. Und dann, zwei Wochen später, wurde der Schlachthof endlich verkauft. Und jetzt ist da immerhin ein schickes, gut gehendes Apartment-Hotel drin. Und, wie man mir erzählte, haben sie da sofort zugesagt, obwohl Sie Vegetarierin sind. Stand schließlich auch in dem Artikel über den Schlachthof“. „Ja schon, aber in der Wohnung auf der 5. ist es noch heftiger“ gab sie gepresst hervor. Sie war inzwischen so blass geworden, dass ihre Freunde sie besorgt ansahen. Die Pizza hatte sie weit von sich geschoben. Die Hausverwalterin nahm das Gespräch wieder auf. „Wie viel?“ „Wie, wie viel?“ „Naja, alles und jeder hat seinen Preis. Und wir müssen die Wohnung endlich wieder vermieten. Fast drei Jahre Leerstand rechnet sich nicht. Da kann der Besitzer ja gleich das komplette Haus verkaufen“. Die Beraterin schwitzte und würgte schon wieder. „Nein, ich will nicht, ich kann das nicht.“ Mit einer kalten, spitzen Stimme antwortet die Hausverwalterin ihr von oben herab. „Das ist wirklich bedauerlich. Wenn es sich rumspricht, dass Sie gar nicht so gut sind wie behauptet wird und Sie Angst vor so ein bisschen Spuk und Tabakgeruch haben…. Ich weiß ja nicht, wie das so ankommt. Auf Facebook und Yelp wird es wohl erwähnt werden.“

Oh Gott, jetzt erpresst die mich auch noch! Zuviel des Guten. Und Geld konnte sie immer gebrauchen. Sie straffte ihre Schultern, setzte sich etwas aufrechter hin und fuhr sich durch ihr Haar. Pokern konnte sie auch, zumindest, wenn es um ihr harterkämpftes Image ging. „Das Dreifache von meinem üblichen Honorar. Das ist bei der Größe und den drei Jahren Leerstand nichts. Weniger als der bisherige Verlust und der, der noch kommen wird.“ Das Zähneknirschen der Hausverwalterin konnte man durch die Leitung hören. Sie wusste aber auch, dass das ihre letzte Chance war. Sonst würde sie der Besitzer feuern und den gesamten Komplex einer anderen Verwaltung übertragen. Ihn interessierten Spukgeschichten nicht. Er wollte nur seine Einnahmen gesichert wissen. Also erwiderte Sie noch spitzer als zuvor. „Wenn Sie meinen, dass Sie das dann hinbekommen… aber es muss danach auch sofort vermietet werden. Das sollte Ihnen bewusst sein.“ Sie vereinbarten einen Termin für den nächsten Montagvormittag um 10 Uhr. Bis dahin hatte sie noch das ganze Wochenende um sich innerlich darauf vorzubereiten. Sie würde sich eine Gasmaske besorgen und auf jeden Fall Latexhandschuhe und so einen weißen Overall, wie ihn die Tatortreiniger immer trugen.

Als sie am Montagmorgen klingelte, kam Hausmeister Krause mit seinem dicken Schlüsselbund klappernd an die Haustür. Erstaunt und fragend hob er eine seiner buschigen Augenbrauen und musterte sie. „Ist bei uns im Haus gerade jemand gestorben? Sie sehen aus, wie gestern Abend im Tatort. Da hatten die auch so weiße Sachen an, um die Leichen zu begutachten.“ Nun war ihr das Outfit doch etwas peinlich. „Ähm, nein. Oder besser gesagt ja. Nur das es schon drei Jahre her ist und die Leiche nicht mehr am Fundort liegt. Gott sei Dank.“ „Ah, verstehe. Sie haben sich für Ihre Arbeit auf der Fünften so angezogen. Na denn, kommen Sie“ Er stieg die steilen Treppen immer schwerer atmend vor ihr hoch. Ihr Herz pochte wild. Unauffällig berührte sie immer wieder ihr Schutzmedallion unter dem Overall. Den Heiligen Antonius hatte sie von ihrer Oma Lotti geerbt. Er sollte sie in allen Lebenslagen schützen. Und jetzt brauchte sie ihn unbedingt.

Oben angekommen schloss ihr der Hausmeister die Wohnungstür auf, schubste die Tür an und verabschiedete sich hastig. „Wenn Sie fertig sind, ziehen sie einfach die Tür zu und gehen. Sie können dann bei der Hausverwaltung Bescheid geben.“ Er ließ sie stehen und eilte die Treppe zurück. „Wie, Sie kommen nicht mit rein?“ „Keine Zeit, keine Zeit.“ Sie holte tief Luft, flehte den heiligen Antonius um Beistand an und betrat den Flur. Als sie den beißenden Geruch, ein Gemisch aus Tabak und Ammoniak einatmete, kam er ihr noch bedrohlicher als beim ersten Mal vor. Schnell zog sie ihre Gasmaske aus der Tasche, setzte sie auf und öffnetet nacheinander alle Fenster ganz weit. Schon jetzt waren draußen 29 Grad und die Luft stand wie eine heiße Wand vor den offenen Fenstern. Unter ihrem Plastikoverall rann ihr der Schweiß herab. Sie konnte unter der bedrohlichen Enge der Gasmaske kaum atmen. Panisch riss sie sich vom Gesicht. Ein Hustenkrampf erfasste sie. Doch ihr war klar, sie musste das jetzt durchstehen.

Sie betrat die ehemalige Küche. Alles, einschließlich der Einbaugeräte, scheint damals hastig entfernt worden zu sein. Das Wasseranschlussrohr ragte mit einer rosafarbenen Plastiktüte verstopft aus der Wand. Am Boden sah man noch die Abdrücke, die Herd und Kühlschrank hinterlassen hatten. Über dem ehemaligen Waschbecken waren unter einer Schimmelschicht dunkelbraune Spritzer zu sehen. Die ehemaligen Wandschränke hatten groteske Muster geformt. Eingerahmt von braunen unregelmäßigen Schlieren, sah man verblasste Bauernblumen grünlich überzogen. Ihr Blick schweifte weiter umher. Das Schlimmste waren die stellenweise herausgerissenen Holzdielen. Unregelmäßig hatte man die verfaulten Stellen entfernt. An manchen Stellen sah man eine Verfärbung in einer Form, die erahnen ließ, dass es ursprünglich die Konturen einer liegenden Person waren. Dort musste sie gelegen haben, als man sie drei Wochen, nachdem sie an einem Hustenkrampf vor dem Waschbecken qualvoll verendet war, gefunden hatte. Damals waren es, genau wie jetzt, drei heiße Juliwochen gewesen. Nachbarn hatten, von dem Gestank alarmiert, die Polizei gerufen. Viel war nicht mehr von ihr übrig. Deshalb mussten sie auch die entsprechenden Dielenbretter mit entfernen und mit ihnen auch gleich die ganzen Kücheneinbauten. Und seitdem sah es so aus. Der Vermieter hatte Anweisung gegeben es so weiter zu vermieten. Ein Monat, maximal zwei gewährte er mietfrei für das Selberrenovieren. Bei der Wohnungsnot hoffte er damit durchzukommen.

Sie begann mit ihren Ritualen und konzentrierte sich völlig auf ihre Arbeit. Die Schreckensbilder und die abgelegten, eingegrabenen Erinnerungen der Verstorbenen löste sie nach und nach aus den Wänden heraus. Die Atmosphäre begann sich zu verändern. Es wurde leichter und etwas heller. Sie konnte langsam wieder tiefer atmen. Als sie auf dem Flur stand, entschied sie sich als nächstes in das fensterlose Bad zu gehen, um dort ihre Arbeit fortzusetzen. Danach stand ihr der gelb- bis dunkelbraune Raum mit den hohen Decken und dem kreisrunden Stuck an der Decke bevor… ein Sarg aus Nikotin.

Der Feng Shui Krimi: Sarg aus Nikotin (Kapitel 3)

Ein beinah sakrales Gefühl umfing sie, als sie schließlich in der Mitte des Raumes stand. Das große Flügelfenster mit den trüben Scheiben stand weit offen. In der alten Kastanie, deren Äste fast bis hierher reichten, sang eine Amsel ein einsames Lied. Düstere Melancholie umfasste sie. Sie konnte die verlorene Einsamkeit der Verstorbenen fühlen. Bleischwere Traurigkeit, die alle anderen Gefühle aussperrte. Nur das langsames Inhalieren von Tabakrauch, das stetige Ein- und Ausatmen des Nikotins, stellten noch eine Verbindung zum Leben her, bis es in ihr endgültig erstarb.

Bei der Toten soll es zehn Jahre gedauert haben. Konsequentes, kontinuierliches Rauchen im verschlossenen Raum. Kein Besuch, keine Gespräche, keine Verbindung nach Außen. Man erzählte sich, sie habe ein Abonnement bei einem Pizzalieferanten abgeschlossen und per Dauerauftrag Monat um Monat, Jahr um Jahr jeden Tag eine Pizza Margarita geliefert bekommen – und natürlich Zigaretten. In den zehn Jahren hatte zwar der Pizzalieferant den Besitzer gewechselt, doch der habe den Dauerauftrag mit übernommen und weiter bedient. Getrunken hatte sie das Wasser aus dem Hahn.

Nach und nach gelang es der Beraterin die Erinnerungsspuren der Verstorbenen, die wie Abdrücke in die Wände eingebrannt waren, zu erlösen. Schicht um Schicht kamen aus den gelben Nikotin geschwängerten Wänden abgelegte Gedankenfragmente und Bilder, die zu Scherben zerfallen waren hervor und lösten sich auf. Nach und nach wurde selbst der Tabakgeruch schwächer und die Atmosphäre weniger bedrückend. Als sie sich bückte, um einen Stift, der ihr aus der Hand gefallen war, wieder aufzuheben, sah sie, dass etwas unter die Fußleiste gerutscht war. Sie zog vorsichtig daran. Beim Hochheben fühlte sie sich wie ein Eindringling, wie jemand, der ein lang gehütetes Geheimnis aufdeckte. Auf der ausgeblichenen, zerknitterten Fotografie war eine junge, hübsche Frau, die glücklich vor einem kleinen, vielleicht fünfjährigen Jungen an einem Strand in die Hocke gegangen war, zu sehen. Mit einer liebevollen Geste strich die abgebildete Frau dem Jungen eine seiner dicken blonden Locken aus der Stirn. Auf der Rückseite waren noch die verblassten Worte Mama und Hans, Malmö 1978 zu erkennen. So abgegriffen, wie das Foto war, spürte die Beraterin, dass die Verstorbene das Bild oft in ihren Händen gehalten und betrachtet haben musste. Vorsichtig legte sie es auf die offene Fensterbank.

Da entdeckte sie, dass noch etwas unter der Fußleiste eingeklemmt war. Ein brüchiges Stück Papier, von dem sich nur eine kleine abgerissene Ecke herausziehen ließ. Es sah aus als ob jemand versucht hatte, es zu verbrennen. Sie las die Worte

...nie wieder will ich dich seh…

……………..verzeihe Dir das nicht.

……..Du bist für mich gestorb…

                 …Hans, Florida 2001

Die Beraterin legte es behutsam zu der Fotografie. Da lagen sie nun in der Sonne. „Was wohl aus Hans geworden war?“ Krause hatte ihr erzählt, die Verstorbene habe keine Angehörigen gehabt, zumindest habe man keine ermitteln können. „Sollte Hans noch am Leben sein, brauchte er das hier wirklich nicht erfahren. Es war so grausam, was Unversöhnlichkeit anrichten konnte.“

Nachdenklich arbeitete sie weiter bis die Schwere und die Trauer im ganzen Raum aufgelöst waren und die Atmosphäre sich friedvoller anfühlte. Aus ihrer Handtasche holte sie eine kleine Räucherschale, legte das Foto und das Zettelstück hinein und zündete beides mit einem Streichholz an. Während sie zusah wie die Flamme, zuerst bläulich und dann rotglühend, alles zu Asche verbrannte, sprach sie ein stilles Gebet. „Mögen die beiden ihren Frieden finden.“ Abschließend ging sie noch einmal von Raum zu Raum, überprüfte die Energien und zog schließlich die Wohnungstür von Außen hinter sich zu.

Auf ihrem Weg nach Hause spürte sie, wie sehr sie diese Arbeit erschöpft hatte. Wie immer würde es ein paar Tage dauern bis alle aufgenommenen Energien wieder vollständig aus ihrem Körpersystem herausgelöst waren. Sie duschte, aß etwas und schlief beinahe sofort auf ihrem Sofa ein.

Zehn Tage später bekam sie einen Anruf von der Hausverwalterin. Recht freundlich flötete diese ins Telefon. „Das ging ja überraschend schnell. Ihr Honorar haben wir überwiesen. Wenn wieder etwas ist, melden wir uns bei Ihnen.“ Nicht immer bekam die Beraterin einen roten Briefumschlag, da Firmen und größere Unternehmen ungern ihre Geschäfte in bar abwickelten. Alte Traditionen spielten da keine Rolle. „Schade, denn auch Geld ist Energie und letztendlich ist alles immer nur ein Energieaustausch. Defizite und Ungleichgewichte können dabei langwierige Folgen haben. Doch wer glaubte ihr das schon?“ Froh darüber, dass es nun abgeschlossen war fuhr sie zu ihrem nächsten Auftrag. Vorher wollte sie kurz in ihrem Institut vorbeischauen, den Anrufbeantworter abhören und die Post durchsehen.

Schlagwörter:
Nikotin Tod

Über die Autorin

Parvati S. Hörler ist Fengshuimeisterin und Schamanin. Durch eine sensiblere und vielschichtigere Wahrnehmung nimmt sie die Außenwelt intensiver wahr. Lesen Sie die Geschichte von Parvati S. Hörler.

2 Kommentare

  1. Liebe Parvati,

    auch deine 3. Geschichte ist so spannend zu lesen und ich freue mich heute schon auf die nächste Woche. Ich wünsche mir noch viele Geschichte von dir, weil ich deine Art zu schreiben schon immer sehr gerne mochte.

    Viel Spaß dabei !!!!

    Marianna